Circular Design Einführung
Erster Teil der Einführungsvorlesung des Atelierprojektes „Openness Makes The World Go Round“ an der Hochschule der bildenden Künste Saarbrücken (HBKsaar) von Gastprof. Lars Zimmermann, 16. April 2019, Folgeveranstaltungen hier.
Web-URL: opencircularity.info/hbksaar-1
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3. Einführung – Circular Design
Ich werde heute zur Einführungsveranstaltung sehr viel reden und dabei unser Themenfeld abstecken. Es geht um einen eher neueren und daher erklärungsbedürftigen Ansatz. Darum eine längere Einführung.
Wir wollen uns mit Circular Design oder Design for Circularity befassen und dabei einigen Design-Strategien dafür besondere Aufmerksamkeit schenken. Viel Aufmerksamkeit wird dabei Openness oder Open Source oder kollaboratives Designen bekommen.
Ich beginne mit Circularity und wähle dann einige Design-Strategien dafür aus, die wir dann teilweise vertiefen werden.
3.1. Circularity
Was heißt Circularity und wie wollen wir uns damit befassen?
3.1.1. Prelude: OPENiT, ein neues Bauhaus
Ich mag die Idee, dass das Bauhaus eine Antwort auf die Anforderungen der Industrialisierung war. Die Industrialisierung brachte neue Fertigungstechniken der Massenproduktion mit sich. Anfangs versuchte man damit noch die Designs der alten Welt herzustellen: verschnörkelte Rosetten beispielsweise, gefertigt aus Pappe, nicht haltbar und nicht wirklich schön. Man brauchte Designs, die mit den neuen Herstellungsmöglichkeiten kompatibel und trotzdem schön waren! Daraus ist eine ganz neue Ästhetik geboren.
Wenn man so will, stehen wir heute vor wiederum neuen Anforderungen. Wie können wir Produkte herstellen und nutzen, die wirklich nachhaltig sind und nachhaltig wirken auf einem vielfältig vernetzten globalisierten und digitalisierten Planeten? Die Chancen stehen gut, dass das auch eine ganz neue Ästhetik hervorbringen wird. Wir müssen Designs finden, die nachhaltig sind und nachhaltigen Umgang mit ihnen durch alle Produktions- und Nutzungsphasen ermöglichen, und die dabei trotzdem schön sind! Der Großteil der alten und gegenwärtigen Vorstellungen und Herangehensweisen im Design sind einfach nicht kompatibel mit diesen Anforderungen.
In diesem Kurs gehen wir auf die Suche nach dieser Ästhetik und diesen Designs.
Ich nenne das “OPENiT”. Ist ein Arbeitstitel. Vielleicht finden wir ja hier im Kurs noch einen besseren Namen dafür.
3.1.2. Nachhaltiges zirkuläres Design
Wir wollen hier in diesem Kurs anstatt “nachhaltiges Design” oft “zirkuläres Design” oder “Circular Design” oder auch “Design for Circularity” sagen. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir hier uns aber mit nachhaltigem Design befassen wollen. Es gibt beim “Circular Design” auch einige Spielarten, die zwar in gewissem Sinne “circular”, aber eher das Gegenteil von nachhaltig sind. Um die geht es uns aber nicht.
Es scheint heute so offen vor uns zu liegen: Die menschliche Wirtschaft und damit eigentlich die Art, wie wir Produkte designen, herstellen und nutzen, verändert den Planeten: Klimawandel, Artensterben, Insektensterben, Rohstofferschöpfung, Landverwüstungen und manches andere mehr sind die sichtbaren Folgen. In diesem Kurs wollen wir versuchen, eine andere Wirtschaft zu ermöglichen durch andere Designs. Ja, tatsächlich genau das. Kleiner nehmen wir es nicht 😉 –
3.1.3. Definitionen & was wir daraus machen
Schauen wir uns mal an, was Circularity heißt:
Tabelle 1
Circularity Erklärungen
Mit dem Begriff “Circularity” oder “Circular Economy” sind verschiedene Akteure unterwegs mit leicht verschiedenen Ansätzen. Manche davon nutzen nicht den Begriff “circular”, sind aber Teil des selben Diskurses oder gehen ihm sogar voraus. Schauen wir uns mal manche davon an:
Ellen MacArthur Foundation
Metabolic
Open Source Circular Economy Days
Cradle To Cradle
Wichtiges Schlüsselkonzept: Material Health
Blue Economy
Industrial Ecology
Regenerative Design*
Handlungen mit Produkten
All diese Ansätze sprechen über das Design von Produkten und sind sich darin einig, dass diese Produkte mehr und andere Umgangsweisen mit ihnen ermöglichen sollen, als nur ihren Konsum und ihre Entsorgung. Hier mal in meiner Zusammenfassung:
→ Repair
→ Reuse
→ Refurbish
→ Recycle
→ Reduce
Repair: Dinge sollen langlebiger werden. Das wird z.B. durch Reparatur oder bessere Wartungsmöglichkeiten möglich.
Reuse: Dinge sind anders wiederverwendbar. Sie können z.B. auf einem Second-Hand-Markt verkauft werden, weil sie haltbar sind z.B.
Refurbish: Die Dinge lassen sich z.B. leicht auseinander bauen und wieder zusammensetzen – eine Grunderneuerung in der Fabrik oder Werkstatt ist möglich und eingeplant, z.B. um die Produkte an neue Bedingungen anzupassen. Die Teile lassen sich auch einzeln weiterverwenden usw.
Recycle: Es ist möglich, die Produkte zu recyceln. Das heißt, die Materialien daraus wieder sortenrein zurückzugewinnen und danach idealerweise ohne Qualitätsverlust neu einzusetzen. Hier ist vor allem die Unterscheidung von technischen Materialien, bei denen das Recycling industriell geschieht, und biologischen Materialien, bei denen z.B. Kompostierung oder andere biologische Abbauprozesse eine Rolle spielen, hilfreich.
Reduce: Nur von wenigen Akteuren explizit angesprochen aber für eine Diskussion nachhaltigen Designs auch im Kontext von Circularity unerlässlich: Dinge reduzieren, mit weniger produzieren oder sie einfach ganz weglassen. “Substitute Something With Nothing” (Blue Economy)
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Eine andere Aufschlüsselung teils nach Handlungen findet sich in Conny Bakkers “Products That Last”. In Stichpunkten zusammengefasst hier | PDF Mirror (Scrollen zu “Circular Design Strategies”.) | Beispiele: Attachement, Upgrade, Adapt
Die Herausforderung: Wir müssen als Designer*innen mitbedenken, dass wir auf einem komplexen, großen, globalisierten Planeten leben bzw. dafür diese Produkte entwickeln. Wie kann jemand, der nach 35 Jahren auf der anderen Seite des Globus die oben genannten Tätigkeiten durchführen möchte, diese auch wirklich durchführen? Das ist die große Frage, die das Design mit beantworten können muss oder sagen wir soll.
3.1.4. Zusammenfassung: Handlungen ermöglichen!
Darauf wollen wir uns hier im Projekt konzentrieren: Wie können wir diese Handlungen ermöglichen in einer globalen Welt bzw. wie können unsere Designs und die sie umgebende Kommunikation und auch die sie umgebenden Ökosysteme diese Handlungen ermöglichen?
Mit anderen Worten: Das sind unsere Anforderungen. Wie das Bauhaus Designs entwickeln musste, die funktioniert haben, schön waren und mit den industriellen Methoden der Zeit effizient herstellbar waren, so wollen wir Designs finden, die funktionieren, schön sind und überall auf der Welt auch in vielen Jahren noch tatsächlich praktisch d.h. leicht repariert, reused, refurbished und recycelt werden können.
3.2. Circularity Design Strategien
Wir schauen uns jetzt eine Liste von Design Strategien an, die geeignet sein können, unser Ziel zu erreichen. Manche werden wir vertiefen, andere nur kurz erwähnen.
Die mit * markierten stehen zur Auswahl für eure Rechercheaufgaben:
RECHERCHEAUFGABE: Sucht euch eine der mit * markierten „Design-Strategies“ heraus und recherchiert dazu. Findet dafür ca. 10 Beispiele (möglichst praktische Beispiele), die wir selbst einsetzen können in unseren späteren Projekten. Stellt sie hier vor. Bringt für mindestens ein Beispiel etwas physisches mit. Das kann ein echtes Produkt oder ein Bauteil sein, aber auch ein Nachbau aus Pappe oder Lego z.B. (Idealerweise habt ihr für eure Bildersammlungen oder Präsentationen auch einen Link, den wir hier teilen können.)
Weil es uns darum geht, diese Handlungen zu ermöglichen, stelle ich sie in einer Tabelle unseren Design Strategies gegenüber. Wir gehen die Strategien durch und vergleichen immer, wie sie uns bei unseren 5 Tätigkeiten helfen können.
Die Liste ist nicht vollständig und im Zweifelsfall wisst ihr über manche Strategien mehr als ich. Und es kann sich auch herausstellen, dass manche Strategien eher nur teilweise oder in bestimmten Ausprägungen geeignet erscheinen.
Handlungen mit Produkten
→ Repair
→ Reuse
→ Refurbish
→ Recycle
→ Reduce
Design Strategies
Update: Präsentationen mit vielen Beispielen pro Design Strategy gab es in Sitzung 2. Die Präsentationen sind verlinkt hier.
→ Recyclable Materials*
Wenn man nur genügend Aufwand treibt, ist chemisch praktisch jedes Material wieder 100% recycelbar. Aber ist das auch ökonomisch sinnvoll (Energie, Zeit- und Technikaufwand)? Welche Materialien in welchen Verarbeitungen (z.B. Legierungen) lassen sich ggf. leicht in großen Teilen der Welt wieder recyceln, und das zu annährend 100%? „Leicht“ kann bedeuten, dass z.B. bereits Anlagen dafür existieren und/oder die technischen Vorgänge dafür nicht zu teuer oder komplex sind.
→ Local Materials/Rohstoffe*
Lokal verfügbare Materialien verringern den Transportbedarf, die Wahrscheinlichkeit lokaler Expertise im Umgang damit ist höher und es fällt leichter, eventuell recyceltes Material durch verfügbares Neu-Material zu ergänzen.
Auch hier sollte man darauf achten, dass die Materialien möglichst recycelbar sind und/oder aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und/oder nicht zu toxisch (Material Health Concept) sind.
→ Design for Durability*
Langlebigkeit lässt sich durch verschiedene Strategien erreichen.
- Haltbares Material und haltbare Konstruktion
- Reparierbarkeit (inkl. Upgradebarkeit und Anpassbarkeit)
- Klassische zeitlose Gestaltung (mode-resistent)
→ Openness / Open Source
Open Source bzw. Transparenz in der Bauart der Produkte kann ein wichtiger Schlüssel sein, nicht nur für unsere Tätigkeiten, sondern vor allem auch für die schnelle Ausbreitung von nachhaltigen Lösungen. Und da wir uns damit hier näher beschäftigen wollen, gibt es dafür eine Extra-Seite. Machen wir einen Ausflug dorthin: Was ist Open Source Hardware?
→ Simplicity*
Je einfacher das Design je einfacher im Zweifelsfall die Wiedernutzung und Umnutzung.
→ Modularität*
Modularität kann für unsere Tätigkeiten enorm helfen z.B. durch Adaptierbarkeit bzw. Kompatibilität mit vielen verschiedenen Bauteilen. (Und Modularität ist eines meiner großen Forschungsthemen für 2019+). Ich will zu Modularität gern ein paar Einschränkungen oder Bemerkungen machen:
- Don‘t invent a modular system try to use (hack into) an existing one!
- Pre-Use
- Modularize It Project [add link]
- Der Fehlerausstrahlungseffekt bei Modularität
→ Standards*
Standards einsetzen (Material, Konstruktion, Produktion). Idealweise offene und weit verbreitete. Gibt es eigentlich heute schon „globale Standards“?
→ Substitute or Avoid* (Do more with less)
Wie können wir die Produktion und den Gebrauch oder Verbrauch von Produkten ganz vermeiden oder zumindest stark reduzieren? Verschiedene Ansätze:
- Vollständige Vermeidung (Scheiben, die nicht schmutzig werden, sparen Putzmittel und Putzausrüstung; Hosen, die sich selbst waschen, brauchen keine Waschmaschine…)
- Ressourcenschonender Ersatz (im Park mit Stöcken spielen statt im Haus mit einer Playstation, in den Hartz fahren statt nach Havanna fliegen, Mehrwegsysteme)
- Virtualisierung (Bücher, Musik digital)
- Effizienzsteigerung (z.B. ein Design mit nur wenig Nebenprodukten in der Produktion oder mit leicht zu nutzenden Nebenprodukten (Synergien))
Dieser Punkt bringt Dinge zusammen, die man auch besser trennen könnte. Für unseren Kurs soll das aber so zusammengefasst hier stehen.
Hinweis: Bei der Blue Economy spielen die Sätze „substitute something with nothing“ und „do more with less“ eine wichtige Rolle und es finden sich in Gunter Paulis Buch und auch anderswo im Netz Blue Economy-Beispiele. Wo wurde dieses Prinzip umgesetzt?
Hinweis: Eine wunderbare Sammlung zu Beispielen hierfür findet man schnell, wenn man sich in den Zero-Waste-Diskurs vertieft bzw. ihm online hinterherrecherchiert. Da gibt es unzählige Quellen. Der Podcast Zero Waste Your Life (ITunes, Spotify) z.B. hat jetzt zwei Sammelfolgen zu allen bisher erschienen Folgen und in jeder Folge gab es mindestens eine Idee.
Bemerkung: Rebound-Effect! Hier muss man manchmal genauer hinsehen, ob sich diese Lösungen hinterher wirklich als nachhaltiger erweisen. Ein Stoffbeutel verbraucht z.B. so viele Ressourcen wie 20 Plastiktüten. Nutzt ihr eure Stoffbeutel wirklich mehr als 20 Mal? | Früher hatten die Menschen eine gedruckte Stadtkarte, heute aktualisiert unser Telefon alle paar Sekunden unseren Standort, es funkt und bringt Server-Farmen zum Rechnen usw. Es lohnt ein kritischer Blick. Nachhaltigkeit ist kompliziert.
→ Structural Support For Biosphere*
Wie gestaltet man Dinge so, dass sie biologisches Leben um uns herum unterstützen oder gar bereichern? (Bioabbaubare Poster in denen Samen stecken, Löcher bieten Nistplätze für Insekten usw.)
→ Fehlt etwas?
Was habe ich vergessen, wollt ihr aber gern im Kurs haben?
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Kombination!
Achtet bei der Recherche auch darauf, die anderen Sachen im Blick zu behalten. Es ist durchaus möglich, ein gut reparierbares Produkt zu haben, welches aber aus giftigen Materialien besteht und und vielleicht ist die Reparatur auch enorm energieintensiv.
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Ok. Hat jeder seine Strategie ausgesucht? Dann sehen wir uns nächste Woche wieder mit euren Recherche-Ergebnissen.